Es ist Freitag, ein nasskalter Wintertag in Dresden. Wir benötigen noch ein paar Kleinigkeiten und entschließen uns spontan zu einem kleinen Einkaufsbummel ins Stadtzentrum. Unser Ziel ist das CENTRUM-Warenhaus auf der Prager Straße.
Wir wohnen auf der Louisenstraße, die schnellste Verbindung ins Zentrum stellt für uns die Straßenbahn der Linie 11 ab der Haltestelle Bautzner Straße/Rothenburger Straße dar. Wir können nach einigen Haltestellen direkt Visasvis zum CENTRUM-Warenhaus an der Haltestelle Prager Straße aussteigen. Selbstverständlich nehmen wir unseren 5 Monate alten Sohn Felix mit.
Etwa 16 Uhr erreichen wir das CENTRUM-Warenhaus. Felix schläft friedlich in seinem Kinderwagen. Das CENTRUM-Warenhaus verfügt auch an der Waisenhausstraße über einen Eingang. Einige Meter neben diesem Eingang befindet sich, mit separatem Eingang, eine vom Warenhaus betriebene Kinderbetreuung für Kleinkinder und Babys. Leider sind alle Plätze belegt. Deshalb stellen wir unseren Kinderwagen zwischen dem Eingang zur Kinderbetreuung und dem Eingang Waisenhausstraße ab. Hier stehen bereits einige Kinderwagen, in denen ebenfalls schlafende Babys liegen. Felix schläft ruhig weiter.
Als wir 30 Minuten später vom Einkaufen zurückkommen, trauen wir unseren Augen nicht:
FELIX IST WEG! Der Kinderwagen steht an der gleichen Stelle, aber er ist leer.
Anmerkung: Den Kinderwagen vor einem Kaufhaus oder einem anderen Geschäft abzustellen, war 1984 vollkommen normal. Damals ging es in den Läden und Geschäften noch sehr beengt zu, Kinderwagen durften nicht mit hineingenommen werden.
Nach wenigen Minuten läuft eine der größten Polizeiaktionen in der Geschichte der DDR an. Alle in Dresden verfügbaren Kräfte werden aktiviert und eingesetzt, die Sonderkommission „Felix“ hat in den ersten Wochen mehr als 40 Mitarbeiter.
In alle denkbaren Verdachtsrichtungen wird ermittelt, so u. a.:
- Familien mit abgelehnten Adoptivanträgen;
- Personen, die bereits einmal mit einer Kindesentführung im Zusammenhang standen;
- Frauen mit Tot- oder Fehlgeburten;
- Auch wir standen am Anfang der Ermittlungen im Focus der Kriminalpolizei. Versuchen die Eltern von Felix eine Straftat zu vertuschen?
Die Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei und deren freiwillige Helfer, die Bereitschaftspolizei und auch die Transportpolizei sowie die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit drehen in Dresden praktisch jeden Stein um, um auszuschließen, dass Felix irgendwo abgelegt wurde. Gleichzeitig wurden Befragungen und Vernehmungen durchgeführt, mit dem Ziel, Hinweise auf den Tathergang zu erlangen.
Das und noch viel mehr wird unternommen, leider ohne ein greifbares Ergebnis. Der Leiter der Sonderkommission, Ekkehard Schuldt sagte hierzu später einmal: “Wir hatten nichts, absolut nichts, keine Spur.“